Kapitel 37 
(September 2010):

Der Gangster ist ein Feigling!!!!!!!!!!!!!!!

 

Wer hätte das je gedacht? - Weil er wie John Wayne durch die Gegend stolziert, mich vom Wassernapf wegstößt, sich an uns allen vorbei als erster aus der Tür drängelt, sich in meinem Bett breit macht und meine Knochen klaut, haben wir alle gedacht, dass er ein Macho wäre. Aber dann kam das böse Erwachen: Es war endlich Frühling geworden und unsere Kurse in der Hundeschule begannen wieder: Diarmuids Anfängerkurs in Rally Obedience und meiner für Fortgeschrittene.

Im April gab es einen eintägigen Einführungskurs zu Rally-O und weil der nicht ganz voll war, meldete Mum auch meinen "kleinen" Bruder mit an, weil sie dachte, dass er bestimmt alles wieder vergessen hatte, was er im Herbst zuvor gelernt hatte, und weil jede Stunde, die er in der Hundeschule verbrachte, ihn besser auf seine Begleithundprüfung im September vorbereiten würde. Doch gleich in der ersten Stunde verweigerte der Satansbraten seine Mitarbeit. In der zweiten Stunde interessierte er sich nicht die Bohne für irgendeine Form von Leckerli, die Mum aus der Tasche zog: Leber, Hühnchen, Hot Dogs, Käse - NIX! Er tat nichts und Mum war am Boden zerstört. Für die dritte Stunde wollte sie mich schon  aus dem Auto holen, damit ich für ihn weiter mache und damit sie sich besser fühlte, erinnerte sich aber gerade rechtzeitig noch daran, dass Diarmuids Üben für die Begleithundprüfung gerade der Grund dafür war, dass wir den ganzen Tag in der Hundeschule verbrachten. Dieses Mal versuchte sie es mit einigen amerikanischen Leckerli, die sie in kleine Stücke brach. Bingo! - Der Flegel war wie verwandelt. Er wollte einfach mehr Salz und mehr Gewürz. Wahrscheinlich frisst er auch lieber Popcorn statt Pumpernickel.

Nach einer einstündigen Pause, die sie damit verbrachten, die Feldwege entlang zu spazieren, musste Diarmuid  beweisen, dass er bereit war, im Mindestalter von 15 Monaten mit Agility anzufangen. Unglaublich! - Er benahm sich vorbildlich und machte alles richtig: Er ließ andere Hunde vor seiner Nase entlang spazieren, ohne nach ihnen zu schnappen. Mami konnte ihn an einer Hürde zurücklassen, weggehen und wieder zurück kommen (Das war auch gut so, denn das hatte er zuvor schon bei den Spaziergängen in den Feldern gekonnt: 10 Minuten still liegen bleiben, während Mami sich 30m entfernte).

Dann brachten sie einen zu einem kurzen Ring zusammen gebundenen Tunnel auf die Wiese. Sie öffneten ihn nicht einmal. Die Aufgabe hieß einfach: "Steig durch!" (mit einem einzigen Schritt). Die anderen fünf Hunde machten das. Diarmuid stellte sich auf die Bremse: Nein, danke, ich will nicht. Sie stellten die A-Wand auf; alle anderen Hunde waren bereit, ein paar Schritte hinauf zu gehen und dann wieder zurück. Aber nicht unser Gangster. Er scheute zurück, als ob er über das Grand Canyon springen sollte.

So musste Gráinne's guter Ruf den Tag retten: Mum und ich hatten seit sieben Jahren Agility und Kurse in Hundeerziehung gemacht und ich habe in der Zeit 18 Pokale bei Agilityturnieren gewonnen, ganz zu schweigen von den vielen Rosetten, mit denen ich meine Hundekiste tapezieren könnte. Wie könnten sie da bei der Hundeschule noch zu meinem kleinen Bruder "nein" sagen, wo sie doch wussten, dass wir Diarmuid adoptiert hatten, damit er nach dem Ende meiner Karriere mein Nachfolger wird, und wo sie doch wussten, dass Mum alles tun würde, ihn voran zu bringen. - Das haben sie wohl gespürt, denn sie ließen ihn schließlich doch am Kurs teilnehmen.

Mum startete daraufhin mit ihm sofort einen Intensivkurs in Sozialisierung:

1) Tägliche Ausflüge in eine der nahen Kleinstädte, je nachdem, wo mehr Lärm, Leute und Verkehr zu erwarten waren, an die er gewöhnt werden musste. Da hat sie ihn dann straßauf, straßab spazieren geführt und ihn an Fahrräder und Kinderwagen und an das Ignorieren anderer Hunde gewöhnt und das Ziehen an der Leine und das Zurückscheuen abgewöhnt. Währenddessen führte sie mit Passanten zahlreiche Gespräche über Hundeerziehung. Das Bei-Fuß-Gehen in unserem kleinen Dorf ohne wirklichen Straßenverkehr war zu leicht gewesen.

Eines Tages stoppte neben ihnen ein Lieferwagen. Zwei Männer zogen eine lange Rolle Irgendwas heraus und ließen sie auf die Straße fallen. Unseren stolzen Wikinger packte die Panik, er zog seinen Kopf aus dem Halsband (wie immer er das auch  fertig gebracht hat) und flüchtete auf die Straßenkreuzung. Glücklicherweise kam gerade kein Auto und Mum konnte ihn einfangen, bevor eins kam. - Erinnerungen an mein wundersames Überleben in Hamburg, dank Daddy.

2) Drei bis sechs Mal am Tag über eine Planke laufen. Daddy montierte das Brett von meiner Wippe ab und legte es auf der Terrasse aus. Mum führte den Feigling an der Leine darüber, bis es ihm gefiel (naja, wegen der Tube mit  der Mischung aus Leberwurst und Quark natürlich, aus der er immer etwas zur Belohnung bekam). Dann hat sie die Planke mit Ziegelsteinen an den vier Ecken etwas höher gestellt, damit es unten drunter hohl wurde wie bei der A-Wand. Schließlich wurde das eine Ende wieder auf die Erde gelegt und das andere Ende mit drei Ziegelsteinen erhöht, damit die Planke schräg lag wie der Steg. Bis dahin liebte Diarmuid es geradezu, darüber zu laufen, und stieß mich runter, wenn ich versuchte mein Wippenbrett für mich zu reklamieren.

3) Ach, der "arme, kleine Junge", bekam keine einzige Mahlzeit ohne durch den Hulareifen zu springen: "Spring durch oder Du kriegst nichts!". Zuerst wurde der Reifen in die Küchentür, aber unten auf die Fliesen geklemmt, bis er es wagte da durch zu hüpfen. Danach wurde der Reifen Stück für Stück höher gerückt, bis der Gangster nach fünf bis sechs Tagen tatsächlich durchspringen musste. Mum fand auch einen kleineren Reifen, den sie mit Duck Tape an zwei Stangen befestigte und in den Garten stellte.  Diarmuid hat sich natürlich das Duck Tape geschnappt, was seither perforiert ist. Der Feigling hat länger dafür gebraucht durch den großen Hulareifen in der Küchentür zu steigen als durch den kleineren im Garten zu springen.

4) Mum hat im Garten eine Slalomreihe aufgebaut. Diarmuid musste nun lernen, im Zick-zack dadurch zu marschieren. Zu Hause ging das ja auch ganz gut, aber bei den Slalomstangen in der Hundeschule gibt es ein Metallband auf dem Boden (das die Stangen gleich im richtigen Abstand aufbaut) und deshalb weigerte er sich zwei Wochen lang, drüber weg zu steigen. Diese Memme!

5) Aus den Slalomstangen wurden wieder Hürden, damit er lernte, mehr als eine zur Zeit zu überspringen. Endlich hatte er kapiert, dass man auch über fünf  Hürden und dann noch durch den Hulareifen sprngen kann. Aber immerhin  tat Diarmuid dann auch bald das, was man von ihm in seiner Agility-Anfängerklasse erwarten konnte.

Eines Abends hatten Mum und Dad dann ihren Bibelhauskreis zu einem sommerlichen Grillabend bei uns zu Gast. Daddy hat deshalb die Wippe wieder zusammen gebaut, damit es mehr Platz gab. Eine Familie brachte Momo mit, Diarmuids beste Welpenfreundin. Diese Familie wusste nichts von den psychischen Gefahren der Hundewippe und führte ihre Momo fröhlich darauf. Als Diarmuid das sah, dachte er wohl: "Hallo? - Ist das nicht meine Wippe?" - und schloss sich einfach an. Ouuuuuh - da neigte sich die Wippe und unser kleiner Feigling flog in hohem Bogen runter. In der folgenden Woche wollte er natürlich den Steg, der für einen Hund erst einmal aussieht wie eine Wippe, nicht ohne Leine betreten.

Was nun? - Also: das Wippenbrett wieder zurück auf die Steine. - Der Feigling meinte, "Nö!" Da griff sich Mum Gráinne, um Diarmuid zu zeigen, wie man über das Brett geht. Bevor ich auch nur zu einem Drittel drüber war, drängte er mich herunter, und das Bord war wieder seins. Was würde er nur ohne seine große Schwester machen, die er wegschubsen kann.

In der letzten Agilitystunde seines Anfängerkurses sprang Diarmuid durch den Reifen, rannte über die A-Wand und den Steg, übersprang mehrere Hürden nach einander und lief sogar (mit ein bisschen Nachhilfe) durch den Tunnel. Niemand hätte das 6 Wochen zuvor geglaubt, außer Mum, die unseren Garten und die nächsten Städtchen zu Trainingscourts gemacht hatte. Ihre Zweifel würde sie nie zugeben. Mum ist ein sturer Terrier und gibt nicht auf. Genau wie Diarmuid und Gráinne.

 

 

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